Kulturgeschichte Bauchreden

Altertum

Bauchreden hielt die Menschheit  jahrtausendlang im Banne des krassen Aberglaubens. Die Bauchrednerinnen und Bauchredner wurden im Altertum  als Wahrsager angesehen und im Mittelalter als Zauberer und Hexen verbrannt. Totenbeschwörer  unterhielten sich mit dem Geist der Verstorbenen.  Dieser Geist befand sich angeblich im Bauch der Toten,  daher kommt auch die Bezeichnung ‚Bauchreden‘. Dieser Irrglaube bestand bis ins 18. Jahrhundert.

Heute gilt die Bauchredekunst als interessante und erheiternde Unterhaltungskunst.

Antikes Griechenland

Im antiken Griechenland wurden die Orakel (Göttersprüche) von Bauchrednerinnen erteilt. Das bekannteste war das Orakel von Delphi. Eine Priesterin versetzte sich in einen Zustand der Raserei und gab den Offenbarungen der Götter Ausdruck. Stimmen ertönten, die aus ihrem Bauch oder aus der Brust zu kommen schienen. Die anwesenden Priester interpretierten ihre Äusserungen und fassten sie sogleich in Verse.

Die Priesterin Pythia machte den Ratsuchenden Prophezeiungen. War sie eine geschickte Bauchrednerin oder handelte es sich um Stimmen, die von andern hinter einer Wand erzeugt wurden?

Bauchreden und das Christentum

Unter dem Einfluss der kulturellen Vermischung des wachsenden Römischen Imperiums verloren das Orakel und die Macht der Prophezeiungen im damaligen Griechenland ihre grösste Bedeutung. Zur Herrschaftszeit Augustus Caesars breitete sich eine neue Religion aus – das Christentum. Man war sich einig, dass Bauchredner von einem prophetischen, ganz und gar bösen Geist besessen seien.

Die Verdammung des Bauchredens geht auf die Hexe von Endor zurück. Um 1000 v. Chr. bat König Saul von Israel eine Totenbeschwörerin um Rat, die die Stimme des verstorbenen Propheten Samuel  hervorrief. Obwohl er selbst solche Szenarien verboten hatte. Geisterstimmen heraufbeschwören, was aus heutiger Sicht nichts anderes als Bauchreden war, galt als etwas Lasterhaftes und Boshaftes bei dem der Teufel seine Hand im Spiel hatte. Im schwachen Kerzenlicht liess die Hexe mit unbewegten Lippen eine fremde Stimme ertönen. Viele dieser Zauberer und Hexen bezahlten ihre Aussagen mit dem Leben. Als Beispiel ist hier Elizabeth Barton erwähnt, die heilige Jungfrau von Kent. Sie machte 1584 eine unheilverkündende Prophezeiung in Bezug auf King Henry VIII.

Le ventriloque Louis Brabant

Anekdoten bereichern immer wieder die Geschichte der Bauchredekunst. So lebte im 16. Jahrhundert in Paris ein gewisser Louis Brabant, Kammerdiener des Königs François I. (1494 – 1547, König von Frankreich), ein vorzüglicher Bauchredner, der die Stimmen Verstorbener vortrefflich nachahmte. Louis liebte die schöne Tochter eines sehr reichen Mannes, der dem liederlichen Louis seine Tochter sicherlich nicht anvertraut hätte. Seine Bewerbungen wurden folglich auch abgeschlagen. Als aber kurze Zeit darauf der Vater starb, besuchte Louis die Mutter. Bei dieser Gelegenheit fingierte er die Stimme des Verstorbenen, der der Witwe befahl, diesem trefflichen Jüngling die Tochter zur Frau zu geben, er müsse im Fegefeuer entsetzlich dafür aushalten, dass er sie ihm verweigert habe. Je schneller daher das Paar vereinigt werde, desto eher werde er von seinen Qualen erlöst. Die Bauchrednerlist hatte Erfolg, denn bald darauf heiratete Louis das Mädchen.

Das Interessante an dieser schillernden Erzählung aus dem 16. Jahrhundert ist, dass der Bauchredner zum ersten Mal kein vom Teufel  besessener Zauberer mehr war,  sondern eher ein romantischer Schelm, der sein ungewöhnliches Talent dazu einsetzte, die Frau, die er liebte, zu erobern.

Gegen Ende des 18. Jahrhunderts traten Künstler häufig als Volksbelustigung auf Jahrmärkten und in Gasthäusern auf. Künstlerinnen brachten Stimmen hervor, die hinter Türen, aus einer Kiste, aus einer Gitarre oder unterhalb des Fussbodens hervorzukommen schienen.

Bauchreden und Puppenspiel

1770 trat ein Österreicher, Baron von Mengen, erstmals mit einer Puppe mit beweglichem Mund auf. Er kombinierte Puppenspiel und Bauchreden. Das war die Hochzeit von Puppenspiel und Bauchreden. Bisher wurden nicht oder selten Puppen verwendet. Bauchrednerinnen traten nun in Theater auf. Die Bauchredekunst wurde salonfähig.

Das Hinzukommen von Puppen führte zu einer immer grösser werdenden Beliebtheit der Bauchredekunst. Üblich war, mit einer ganzen Gruppe von Figuren aufzutreten.

Das moderne Bauchreden

1896 brachte der Engländer Fred Russel eine Veränderung in die Darstellungsform. Er trat bloss mit einer Kniepuppe auf. Sie rückte ins Rampenlicht mit einem schlagfertigen Zweimannakt. Fred Russel gilt als Vater des modernen Bauchredens. Die Puppe entwickelte sich zu einer eigenständigen Persönlichkeit.

Calindo mit Freddy Lime – seine Kniepuppe

Nur noch selten sind bauchrednerische Darbietungen anzutreffen, in denen keine Puppe auftritt. Bevor sie in Erscheinung trat, war der Partner des bauchredenden Künstlers unsichtbar und verlangte dem Publikum etwas Vorstellungskraft ab. Der Künstler gaukelt seinem Publikum eine Welt der Phantasie und des Zaubers vor, wobei er seine Darbietung mit Witz, Humor und Emotionen bereichert. Das dient dazu, die Figur als ein glaubwürdiges Individuum erscheinen zu lassen.

Bauchrednerinnen sind wie Zauberinnen. In ihren Shows täuschen sie das Publikum. Während der Zauberer zum Beispiel eine Kugel schweben lässt und so die Naturgesetze auf den Kopf stellt, erweckt die Bauchrednerin einen beliebigen Gegenstand oder eine Figur zum Leben, indem sie durch gekonntes Spiel wie eine Puppenspielerin die Figur führt und ihr eine Stimme verleiht.

In den letzten Jahren erlebte die Bauchredekunst eine wahre Renaissance. In America’s got talent siegten gleich zwei Bauchredner mit ihren aussergewöhnlichen Shows. Und in Spain’s got talent 2021 gewann Celia Muñoz, eine fantastische Bauchrednerin, die als ausgebildete Opernsängerin die besten Voraussetzungen für diese Kunst mitbringt.

Quellen:

I can see your lips moving, the History and Art of Ventriloquism, by Valentine Vox

Dumbstruck, a cultural History of Ventriloquism, by Steven Connor

Bauchreden, Geschichte und Technik der Ventriloquistik, T. S. Flatau & H. Gutzmann